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by Ilka Tempel

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      KONTAKT

      by Ilka Tempel

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          KONTAKT
          • GARTENGESPRÄCH mit ELISABETH FRESEN

            Die AbL-BUNDESVORSITZENDE über NATURSCHUTZ mit WEIDERINDERN

            Elisabeth Fresen ist 31 Jahre alt und betreibt in Verden an der Aller einen ökologischen Mutterkuhbetrieb mit 100 Tieren und 170 Hektar Weide- und Ackerland. Auf den weitläufigen Naturschutzflächen am Ufer des Flusses Aller weiden ihre Limousin- und Angusrinder das ganze Jahr lang draußen und tragen so zum Naturschutz bei. 2020 eröffnete die junge Landwirtin ihren Hofladen und vertreibt das edle Fleisch ihrer Tiere direkt. Schon während ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung merkt sie, dass Landwirtschaft ohne Politik nicht möglich ist. Sie ist heute Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V., und gestaltet die Agrarpolitik aktiv mit. In der von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Zukunftskommission Landwirtschaft entwickelte sie zusammen mit den anderen Mitgliedern aus den Bereichen Landwirtschaft, Wirtschaft und Verbraucher, Umwelt und Tierschutz, und Wissenschaft Empfehlungen um eine ökologisch und ökonomisch tragfähige sowie sozial verträgliche Landwirtschaft in Deutschland zu realisieren. Ich habe sie auf ihrem Hof zu einem Gespräch getroffen und über die Möglichkeiten einer Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft gesprochen.

          • „Ich kann mit ruhigem gewissen das Fleisch meiner Tiere essen, denn mit den Tieren betreiben wir auf unseren Weiden Naturschutz."

          • Elisabeth, du bist Landwirtin und führst seit 2020 den elterlichen Mutterkuhbetrieb Stoffers Hoff in Eitze bei Verden an der Aller. Außerdem bist du Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V.. Erzähl mir doch bitte kurz wie es zu dieser Kombination gekommen ist.
            Ich war schon immer an den Themen Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung aber auch Journalismus und Politik interessiert. Ich habe die Ausbildung zur Landwirtin auf Ökohöfen gemacht, danach habe ich in Witzenhausen (Uni Kassel) Ökologische Agrarwissenschaften studiert. Mir wurde mit der Zeit bewusst, dass ich auf dem elterlichen Hof einen Raum habe, um meine nachhaltigen Ideale und Wertvorstellungen auszuleben und ein Umweg über Journalismus oder Politik gar nicht nötig ist. Schon während meiner Ausbildung habe ich gemerkt, dass Landwirtschaft ohne Politik nicht möglich ist. Diese Branche ist stark von der Politik beeinflusst und abhängig. Hier wollte ich mitgestalten und so bin ich dann zur AbL gekommen.
            Warum hast du dich für die Mutterkuhhaltung entschieden?
            Mein Vater hatte schon vor über 30 Jahren seine Milchkühe ab- und Mutterkühe angeschafft und nach und nach immer mehr Naturschutzflächen gepachtet. Vor 20 Jahren hat er auf Bio umgestellt. Das war mein Glück, da es meinen Idealen entspricht. Deshalb führe ich den Hof in dieser Form weiter. Wir betreiben hier extensive Weidehaltung und ich bin davon überzeugt, dass dies Art der Tierhaltung sehr sinnvoll ist. Unsere Rinder fressen nur Gras und Heu und kein Kraftfutter. Ich kann mit ruhigem gewissen das Fleisch meiner Tiere essen, denn mit den Tieren betreiben wir auf unseren Weiden Naturschutz. Die Kühe düngen den Boden und tragen zur Artenvielfalt bei - viele Vögel und Insekten gäbe es ohne die Kühe gar nicht.
             
            Allerdings ist diese Form der Landwirtschaft kaum rentabel. Durch meinen Hofladen und die Direktvermarktung hoffe ich, mittelfristig schwarze Zahlen zu schreiben.
          • Wo schlachtet ihr und wieviel Fleisch produziert ihr im Jahr am Hof?
            Wir schlachten ungefähr 20 Tiere im Jahr. Das ist richtig gut dafür dass wir es erst im zweiten Jahr machen. Wir schlachten auf einem Biolandbetrieb in der Nähe vom Steinhuder Meer. Das ist einer der wenigen handwerklichen Schlachtbetrieb, auf dem nur zwei bis drei Rinder am Tag geschlachtet werden. Der Metzger kann zum Beispiel viele verschiedene Steak-Cuts auslösen. Bei uns gibt es daher nicht nur die typischen Standards wie Hackfleisch, Rouladen und Gulasch, sondern auch ganz besondere Stücke. Das ändert auch sehr den Genuss der Kundschaft. Sie essen das Steak dann mit mehr Bewusstsein und geniessen die Aromen. Das Schlachten ist aber generell für viele Erzeuger ein Problem, denn es gibt zu wenig regionale Schlachtbetriebe und bei den wenigen dann auch nur begrenzte Kapazitäten. Um flexibler und unabhängiger zu werden, gründen wir gerade selber zusammen mit vier anderen Betrieben einen Schlachtbetrieb bei Bremen.

            „Der Hofladen ist unser Herzstück, da steckt viel Leidenschaft drin.“

            Vermarktet ihr ausschließlich über den Hofladen?
            Unser Fleisch verkaufen wir nur über den Hofladen. Die Menschen können sich selbst bedienen und bar, per Karte oder paypal zahlen. Wir haben mit dem Hof so viel zu tun, da können wir es einfach nicht leisten, uns täglich in den Laden zu stellen. Wichtig war uns aber, den Hofladen täglich zu öffnen, damit sich unsere Kundschaft nicht an sehr eingeschränkte Öffnungszeiten halten muss. Der Hofladen ist unser Herzstück, da steckt viel Leidenschaft drin. Die Kunden schätzen die Liebe zum Detail und natürlich die hochwertigen Produkte sowie die tolle Auswahl sehr wert.
            Habt ihr noch andere Einnahmequellen neben der Vermarktung des Fleisches?
            Zusätzlich zum Hofladen verkaufen wir noch circa 70 Absetzer pro Jahr, so werden junge Rinder genannt, wenn sie nach ungefähr acht bis zwölf Monaten von den Müttern getrennt werden. Leider sind die Verkaufspreise momentan nicht kostendeckend. Unsere extensive Haltung ist teuer und aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht rentabel. Wir wollen unseren Prinzipien treu bleiben. Dann müssen wir halt an unserer Vermarktungsstrategie arbeiten und versuchen, unsere Produkte besser zu verkaufen.

            „Um arttypisches Verhalten auszuleben zu können, brauchen Rinder die Weide.“

            Deine Rinder sind das ganze Jahr draußen. Kann es tiergerecht sein, wenn Rinder nur im Stall sind?
            Für mich ist das nicht tiergerecht. Wiederkäuer gehören auf die Weide. Ein Rind kann schon rein von der Ergonomie her den Kopf nicht ganz auf den Boden bekommen, wenn es aufrecht steht, das geht nur, wenn sie ein Bein nach vorne gestreckt haben. Sie müssen einen Schritt nach vorne gehen, damit sie mit ihrem Maul auf die Erde gelangen. Eben so wie beim Grasen auf der Weide. Um arttypisches Verhalten auszuleben zu können, brauchen Rinder also die Weide, damit sie in der laufenden Bewegung fressen. Aus meiner Sicht ist es aber völlig in Ordnung, Rinder im Winter im Stall zu halten und den Futtertisch entsprechend den Anforderungen zu gestalten. Aber in den warmen Monaten gehören sie auf die Weide.
             
            Außerdem ist mir wichtig, dass die Kälber bei ihren Müttern aufwachsen, Muttermilch aus dem Euter trinken und das Zusammenleben in der Herde erleben. Sie können hier ihre arttypischen Verhaltensweisen ausleben.
          • Funktioniert deine Art der Rinderhaltung auch im Großen?
            Ja, davon bin ich überzeugt. Es muss halt immer an den Standort angepasst sein. Es gibt ja schon einige Großbetriebe zum Beispiel in Schleswig-Holstein oder im Osten von Deutschland, die im großen Stil Mutterkuhhaltung betreiben und ihren Fokus sehr erfolgreich auf Naturschutz und Nachhaltigkeit legen. Auch unser Betrieb ist nicht gerade klein. Ausschlaggebend ist, dass man immer realistisch bewertet, was am jeweiligen Standort mit den gegebenen Ressourcen möglich ist. Wenn mein Betrieb nur fünf Hektar hätte und eine andere Bodenqualität, dann würde ich vielleicht Gemüse anbauen anstatt Tiere zu halten.

            „Als Bäuerin geht es mir nicht rein um monetäre Faktoren, ich möchte auch, dass Werte geschaffen und erhalten werden.“

            Du bist Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. - Erklär mir noch kurz den Begriff Bäuerliche Landwirtschaft. Für viele ist das ja ein und dasselbe.
            Ich bin Landwirtin und Bäuerin. Landwirtin habe ich gelernt und es ist mein Beruf. Aber ich bin eben auch Bäuerin. Das bedeutet für mich, dass ich sehr schonend mit dem umgehe, was ich habe. Schonend mit Menschen, Tieren, Boden und Klima umgehe und danach mein Wirtschaften ausrichte. Als Bäuerin geht es mir nicht rein um monetäre Faktoren, ich möchte auch, dass Werte geschaffen und erhalten werden. In der bäuerlichen Landwirtschaft grenzen wir uns von der industriellen und intensiven Landwirtschaft ab. Als AbL arbeiten wir viel auch mit Umweltverbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammen, denn wir verfolgen die gleichen Ziele. Der Interessenausgleich ist manchmal nicht leicht, aber immens wichtig.

            Was sind die Ziele der AbL?

            Wir wollen eine umwelt- und sozialverträgliche Landwirtschaft erhalten und Bäuerinnen und Bauern sowie deren Höfe stärken. Wir arbeiten schon immer mit Organisationen aus Umwelt-, Tier-, Natur- und Klimaschutz zusammen und beziehen ökologisch und konventionell wirtschaftende Betrieben mit ein. Wir fordern eine Agrarpolitik, die die Belange der Bäuerinnen und Bauern ebenso wie die der Verbraucher berücksichtigt. Wir setzen uns ein für einen gerechten Umbau der Tierhaltung, der für die Betriebe rein praktisch, aber auch finanziell machbar ist. Wir stehen für faire Erzeugerpreise und Qualitätserzeugung anstatt Massenproduktion. Wir fordern Agrarsubventionen, die eine soziale, ökologische und tiergerechte Landwirtschaft fördern und eine Bodenpolitik, die bäuerliche Betriebe in den Mittelpunkt stellt.

            Welche Art von Betrieben engagieren sich hauptsächlich in der AbL?
            Die AbL wurde 1980 als Opposition zum Deutschen Bauernverband gegründet. Es gab eine immer größere Gruppe an Menschen, die erkannt haben, dass es nicht sinnvoll sein kann, die Landwirtschaft nur auf Wachstum zu trimmen und soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Hintergrund rücken zu lassen. Viele wollten weg von der Quantitäts- hin zur Qualitätserzeugung. Die AbL hat sowohl konventionelle wie auch Biobetriebe als Mitglieder. Es gibt außerdem Betriebe unterschiedlichster Größen. Mit meinen 170 Hektar ist mein Betrieb verhältnismäßig groß. Dass wir nur kleine Betriebe vertreten würden, stimmt also nicht. Wahrscheinlich ist unser Hof viel mehr ein AbL-Betrieb, als ein 30 Hektar Betrieb, der intensive Schweine- oder Hähnchenmast betreibt und dafür gentechnisch verändertes Soja aus Übersee einkauft.
            Also vertretet ihr die Interessen aller Landwirte?
            Wir haben unsere Arbeit in der AbL so ausgerichtet, dass wir jegliche Art von Betrieben und ihre Interessen mit einbeziehen, sei es ein kleiner Biobetrieb oder ein Betrieb, der intensiv bewirtschaftet wird. Wir sehen ein Ziel und erarbeiten einen Lösungsweg, der für alle Betriebe realisierbar ist. Für uns zählt jeder Hof, egal wie er bewirtschaftet wird. Man muss aber auch realistisch bleiben und sich eingestehen, dass nicht jeder Hof so weitermachen kann, wie bisher und Veränderungen nötig sind. Jeder Betrieb muss sich weiterentwickeln, auch die, die vielleicht gerade sehr gut dastehen. Das Entwicklungspotential ist für fast alle Betriebe da.

            „Gesund schrumpfen geht nur über Qualität.“

            Viele Landwirte stehen solchen Veränderungen aber eher skeptisch gegenüber...
            Natürlich, die Betriebe müssen eine solche Veränderung auch wollen. Leider wird in den Berufsschulen noch sehr traditionell gelehrt und Wachstum und Intensivierung stehen im Fokus. Auch von der Beratung gehen die Impulse immer noch recht einseitig in diese Richtung. Ich höre von vielen ehemaligen Landwirten, dass sie aufgeben mussten, weil sie zu klein waren. Ich denke dagegen, dass es gerade im Kleinen enormes Potential für die Mitgestaltung gibt. Gesund schrumpfen geht nur über Qualität, über Massenproduktion kann ich nicht aus der Zwickmühle von Preisdruck und Knebelverträgen der Abnehmer herauskommen. Wenn ich Masse produziere, um mit Masse Geld zu verdienen, dann macht Klein natürlich keinen Sinn.
          • Die Direktvermarktung macht dann wieder Sinn, um die Zwischenhändler auszuschalten, oder?
            Man darf die Direktvermarktung nicht überschätzen oder überbewerten. Die allermeisten Menschen kaufen nur im Supermarkt ein. Selbst meine Kunden kommen zwar zu mir für das Fleisch, aber alles anderen kaufen sie im Supermarkt. Wir können nicht von den Verbrauchern verlangen, dass sie den größten Teil ihrer Lebensmittel in Hofläden einkaufen. Das wäre ja extrem zeitaufwendig und wenn alle überall hinfahren, auch wenig ökologisch. Daher muss es auch auf dem großen Markt eine Lösung geben.
            Wie sieht denn diese Lösung aus? Ein Großteil der Bioware im Supermarkt kommt häufig von weit her und ist in Monokulturen gewachsen. Das widerspricht ja dem ökologischen Gedanken und ist nicht gerade förderlich für das Klima...
            Hier kann meiner Meinung nach sehr viel über die Aufklärung der Verbraucher erreicht werden. Es gibt nunmal nicht rund ums Jahr Tomaten aus Deutschland, das weiss nur leider nicht jeder, beziehungsweise nicht jeder macht sich über die Herkunft Gedanken, da einfach immer alle Obst-und Gemüsesorten im Supermarkt in den Regalen liegen. Wenn aber wieder mehr Bewusstsein und Wissen vorhanden ist, wann welches Gemüse Saison hat, dann werden vielleicht andere Kaufentscheidungen getroffen. Es liegt natürlich auch an der Konsequenz der Verbraucher, auch einmal zu verzichten. Nur so kann sich das Angebot ändern und mehr auf regionale und saisonale Nahrungsmittel gesetzt werden und vor allem auf Qualität. Da kommt dann der ganz entscheidende Faktor hinzu: eine faire Entlohnung für den Produzenten.
             
            Für alle tierischen Produkte wäre es auch sinnvoll, ein klares Kennzeichnungssystem einzuführen, welches über die Herkunft Auskunft gibt. Das gibt es bei Eiern schon lange und es hat dazu geführt, dass keine Eier aus Käfighaltung mehr verkauft werden und der Anteil an Eiern aus ökologischer Haltung viel höher ist.

            „Es liegt natürlich auch an der Konsequenz der Verbraucher, auch einmal zu verzichten.“

            Momentan werden die EU Agrarsubventionen hauptsächlich nach der Größe der Flächen eines Betriebes vergeben. Wie müssten diese umstrukturiert werden?

            Wir empfehlen, dass alle Subventionen qualifiziert werden und nur für ganz konkrete Massnahmen an Betriebe ausgegeben werden. Wir als AbL haben dafür ein Punktesystem entwickelt, um ein Engagement für Nachhaltigkeit und mehr Tierwohl zu honorieren. Nach diesem System kommen die Subventionen den Betrieben zugute, die ihren Fokus auf Ressourcenschonung, artgerechte Tierhaltung, Klima- und Trinkwasserschutz und Artenvielfalt setzen. Die Verteilung der EU Förderung pauschal nach Flächengröße ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Es kann nicht richtig sein, wenn 80 Prozent dieser Gelder an gerade einmal 20 Prozent der größten Betriebe gehen.

            Gibt es überhaupt eine Chance, ein Umdenken in der Gesellschaft anzuregen und die Strukturen in der Landwirtschaft zu verändern, oder sind die Lobbys der Pharma- und Lebensmittelindustrie viel zu stark?

            Ich sehe auf jeden Fall eine Chance. Der Trend ist da, es gibt schon so viele Menschen, denen gut produzierte, hochwertige Nahrungsmittel wichtig sind und auch so viele junge Leute, die Höfe übernehmen und Lust haben, etwas zu ändern und anders zu machen. Es macht ja auch einfach viel mehr Spass, richtig hochwertige Produkte zu erschaffen und das honorieren die Kunden. Die Verbraucher haben es in der Hand, sie hinterfragen mehr, wo die Lebensmittel herkommen, wie die Tiere gehalten werden oder wie geschlachtet wird. Der Wandel passiert momentan auf ganz vielen Ebenen. Politisch wird sich auch etwas ändern, weil der Druck immens hoch ist, die Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft zu verbessern. Der Wandel kommt natürlich auch durch die Landwirtschaft selbst, da zum Beispiel die jungen Hofnachfolger gar nicht mehr so weitermachen wollen, wie die Generation zuvor.
          • „Wir müssen alle unseren Lebensstil und vor allem unseren Ansprüche und Denkweisen ändern.“

            Wie könnte eine Ernährungsoffensive aussehen, die zu einer freiwilligen Reduzierung des Konsums tierischer Produkte und einer Entwicklung hin zu qualitätsorientiertem Konsum führt?
            Es betrifft nicht nur die Ernährung, sondern viele Lebensbereiche und da sind manche Menschen viel williger etwas zu ändern, als andere. Wir müssen alle unseren Lebensstil und vor allem unseren Ansprüche und Denkweisen ändern. Es muss uns wieder bewusst werden, dass es purer Luxus ist, jeden Tag Fleisch zu essen, stattdessen wird das heute als völlig normal angesehen, denn Fleisch ist ja billig zu haben. Früher war es etwas besonderes, da gab es den Sonntagsbraten. Die Gesellschaft muss einfach bereit sein, mehr Geld für gute Lebensmittel ausgeben. Das geht meiner Meinung nach über Aufklärungsarbeit für die Wertschätzung von Nahrungsmitteln und deren Herstellung. Warum tanken manche Menschen nur das beste Benzin in ihr Auto, aber beim Kraftstoff für den eigenen Körper muss es möglichst billig sein?
             
            Natürlich können sich dies einige Menschen auch schlichtweg nicht leisten. Hier sehe ich die Politik in der Pflicht, die Mindestlöhne entsprechend zu regeln und auch die Sozialhilfe anzupassen.

            „Im Moment passt der Anspruch der Konsumenten nicht zur Realität.“

            Im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft, bei der du als Bundesvorsitzende der AbL mitwirkst, fordert ihr, dass sich der Fleischkonsum in Deutschland um 50 Prozent reduzieren muss.
            Ja, wir sagen darin ganz klar, dass der Verzehr von Fleisch verringert werden muss und dass Fleisch teurer werden muss. Nur so kann die Tierhaltung verbessert werden und die Landwirte wieder gerecht entlohnt werden. Dadurch könnten die Umbaumassnahmen der Ställe finanziert werden, anders wird es einfach nicht gehen.
             
            Im Moment passt der Anspruch der Konsumenten nicht zur Realität. Alle sprechen von Tierwohl und Nachhaltigkeit, aber trotzdem sind tierische Produkte immer noch billig in den Supermärkten zu haben. Die Erzeuger erhalten seit langer Zeit sehr schlechte Preise für Schweinefleisch oder Milch. Der einzige Weg daraus ist die Qualitätsproduktion und eben nicht die Massenproduktion. Wenn sich die Betriebe den Ansprüchen der Verbraucher annähern wollen, bedeutet dies, dass wir neue Ställe brauchen oder Umbaumassnahmen realisiert werden müssen, die eine tiergerechte Haltung garantieren. Dann gibt es auch mehr Geld und über kurz oder lang wird weniger Fleisch auf dem Markt sein. Ein um 50 Prozent reduzierter Fleischkonsum darf aber nicht dazu führen, dass es weniger Betriebe gibt, im Gegenteil, die Anzahl muss sogar eher steigen. Die Tierhaltung muss sich deutlich verbessern im Sinne der Gesellschaft und dann muss eben auch die Wertschöpfung auf den Betrieben steigen.
            Wie könnte man denn eine Umstrukturierung der Landwirtschaft gestalten?
            Die Borchert-Kommission (Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung), die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 2019 ins Leben gerufen wurde, hat ganz konkrete Maßnahmen ausgearbeitet, wie Ställe für mehr Tierwohl umgebaut werden können und wofür die Betriebe dann Geld bekommen. Es gäbe dann auch einen bedarfsgerechten Zuschuss für den täglichen Mehraufwand, den beispielsweise Schweinebauern haben, wenn sie auf eine Haltung auf Stroh umstellen. Die Verbraucher sollen nach diesen Plänen dann circa 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch bezahlen und dieses Geld fließt dann an die Betriebe, die die höchsten Tierschutzstandards haben. Diese Pläne sind alle fertig und liegen in den Schubladen der Ministerien, aber es geht leider alles sehr langsam und verzögert voran.

            „Die große Lebensmittelmaschinerie ist leider nur auf Gewinn und Effizienz fokussiert.“

            Die Sorge herrscht vor, dass die heimischen Landwirte ihr Erzeugnisse nicht mehr los werden, wenn sie höhere Preise verlangen würden, da sich der Lebensmitteleinzelhandel oder die Lebensmittelindustrie dann einfach alles aus dem Ausland holt. Ist die Angst berechtig?
            Ich fürchte ein stückweit sind diese Sorgen berechtigt. Die große Lebensmittelmaschinerie ist leider nur auf Gewinn und Effizienz fokussiert. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschonung ist zwar in der Industrie schon zu erkennen, aber aus meiner Sicht könnte da noch viel mehr gemacht werden. Es ist eine Forderung der AbL, dass Handelsabkommen geschlossen werden, die besonders auf Menschenrechte, Tierschutz- und Umweltstandards abzielen. Nur so kann ein gerechter Handel zischen den Ländern stattfinden. Auch hier denke ich aber, muss der Verbraucher mit seinen Kaufentscheidungen mitreden und Lebensmittel im Supermarkt liegen lassen, wenn die Zutaten Produkte aus zweifelhaften Quellen kommen. Dafür ist natürlich eine einfache, eindeutige Kennzeichnung nötig und die Konsequenz der Konsumenten. Problematisch finde ich auch, dass so viel Futtersoja von Übersee importiert wird. Das kann nicht klimaschützend sein.
          • Was ist deine Vision für ein nachhaltigeres Deutschland – und insgesamt für eine nachhaltigere Welt?
            In meiner Zukunftsvision sind die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft umgesetzt worden. Es gäbe viel mehr landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland und auf der ganzen Welt, außerdem würde es kein Höfesterben mehr geben. Es gäbe ein kollegiales Zusammenarbeiten zwischen den Betrieben und für junge Leute wäre es wieder sehr attraktiv, auf Höfen zu arbeiten. Die Betriebe könnten von dem, was sie produzieren, gut leben und müssten nicht auf Massenproduktion gehen. Es gäbe Wertschätzung von den Konsument in Form von Geld aber auch positivem Feedback und Genuss beim Essen. Dadurch gäbe es dann eben auch faire Preise und gute Einkommen für die Landwirte. Dafür kämpfen wir in der AbL und ich glaube wir sind auf einem guten Weg. Ich stecke auf jeden Fall nicht den Kopf in den Sand!
          • Weitere Informationen findet ihr hier:
            • Stoffers Hoff - https://www.stoffershoff.de
            • Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) - https://www.abl-ev.de
            • Zukunftskommission Landwirtschaft - https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/zukunftskommission-landwirtschaft.html

            © 2022 | Interview und Text: Ilka Tempel | Fotografie: Alexander Tempel www.alexander-tempel.de

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          all meinen Ausführungen selbstverständlich immer alle Geschlechtsformen mit ein.

           

          © 2023 - Einfach Machen! by Ilka Tempel

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